LandinForm 1.21 | Quelle: Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume

Landinform berichtet über die Smarte KARRE

In der neusten Ausgabe der LandinForm 1.21 präsentiert sich unser Carsharing auf einer Doppelseite und geht als Beispielprojekt voran: Carsharing fürs Klima

Ein Artikel aus LandinForm 1/2021 [VON MARTINA KLÄRLE UND UTE LANGENDÖRFER]

Klimaschutz beginnt lokal: Das ist das Motto eines Carsharing-Projekts in einem kleinen Ort Baden-Württembergs. Die Bewohner können mit Sonnenenergie aufgetankte Elektroautos mieten oder sich von ehrenamtlichen Unterstützern fahren lassen.

 

Wie in vielen Dörfern fernab von Ballungsräumen ist in Schäftersheim, einem Teilort der Stadt Weikersheim im Main-Tauber-Kreis, das öffentliche Mobilitätsangebot stark eingeschränkt. Es gibt keinen Bürgerbus, der nächste Regionalbahnhof sowie Einkaufsmöglichkeiten liegen im rund drei Kilometer entfernten Hauptort. Während der Schulferien kommt der öffentliche Nahverkehr vollständig zum Erliegen. Um mobil zu sein, hat in Schäftersheim ein Haushalt daher durchschnittlich drei PKW.

Alternativen möglich
„Gerade für kurze Distanzen, beispielsweise Fahrten des täglichen Bedarfs, etwa zum Einkaufen oder für Arztbesuche, eignen sich Carsharing-Angebote und der Einsatz von Elektroautos“, sagt Professorin Martina Klärle. Die Ingenieurin hat das Projekt „Smarte KARRE“ initiiert: Smart steht für digital und intelligent, KARRE für „Kooperative Autos – Regional, Rufbereit und Erneuerbar“. Für die rund 800 Einwohner von Schäftersheim gibt es dadurch nun ein E-Carsharing-Angebot. „Ziel ist es, die Dorfgemeinschaft für gemeinschaftliche Elektromobilität zu begeistern“, so Klärle, die es als ihr persönliches Anliegen bezeichnet, die Energiewende voranzutreiben. Das sei dann gelungen, wenn die Schäftersheimer Haushalte durch die Nutzung des E-Carsharings mittelfristig auf ihre Zweit- oder Drittwagen verzichten oder diese gar nicht erst anschaffen.

Erneuerbarer, lokal produzierter Strom
Sämtliche Carsharing-Elektrofahrzeuge werden zu 100 Prozent mit erneuerbarem und lokal produziertem Strom betrieben. Vor dem auf nationaler und internationaler Ebene ausgezeichneten Plusenergie-HOF8, einem sanierten und umgebauten ehemaligen landwirtschaftlichen Hof in Schäftersheim, gibt es fünf Ladesäulen. Den Strom erzeugen Photovoltaikanlagen auf den großen Dachflächen des HOF8 sowie Kleinwindkraftanlagen. Um den Solarstrom für die Elektroautos auch nachts zum Laden nutzen zu können, wurde 2019 ein Stromspeicher mit einer Kapazität von 68,5 Kilowattstunden (kWh) installiert. Der HOF8 produziert einen Überschuss an regenerativ erzeugtem Strom von rund 45 000 kWh im Jahr. Das reicht umgerechnet für etwa 200 000 elektrisch gefahrene Kilometer.

Etwa 45 Nutzer
Das Projekt Smarte KARRE wurde als Modell- und Demonstrationsvorhaben im Rahmen von „Land.Digital: Chancen der Digitalisierung für ländliche Räume“ durch das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) gefördert. Im Mai 2019 begann eine Testphase mit zunächst vier Fahrern. Sie wurde im September 2019 ausgeweitet und die Möglichkeit allen Schäftersheimer Bürgern angeboten. Die Projektaktivitäten werden von einer Social-Media-Kampagne begleitet.
Insgesamt stehen momentan vier Elektrofahrzeuge als Smarte KARRE zur Verfügung. Die Fahrzeuge können über ein Online-Buchungsportal sowie über eine eigens entwickelte App gebucht werden, die gleichzeitig zum Öffnen und Schließen der Fahrzeuge dient. Das Angebot richtet sich an einen großen Nutzerkreis, an Singles und Familien, vom Fahranfänger bis zum Rentner. Etwa 45 Nutzer, überwiegend aus Schäftersheim, sind mittlerweile angemeldet, wovon rund zehn das Angebot regelmäßig nutzen. Ein junger Mann fährt beispielsweise zweimal pro Woche zum Fußball-Training ins rund 40 Kilometer entfernte Würzburg. Ein weiterer Nutzer der Smarten KARRE hat seinen Leasing-Vertrag für einen Neuwagen gekündigt, weil er nun die Möglichkeit hat, das E-Carsharing-Angebot zu nutzen. Im Verlauf der Corona-Pandemie war die Nachfrage vorübergehend zurückgegangen, hat sich aber zwischenzeitlich wieder erholt.
Gebucht werden können Zweisitzer – geeignet für Kurzstrecken und kleine Ausflüge – sowie Fünfsitzer für längere Strecken, für die ganze Familie oder die Mitnahme von Mitfahrern. „Denn die Smarte KARRE ist nicht nur Carsharing, sondern auch Man-Sharing“, so Klärle.

Autos teilen, Mitbürger mitnehmen
Die Smarte-KARRE-App fungiert auch als digitale Mitfahrzentrale: Die Einwohner können ein E-Auto inklusive des benötigten Fahrers buchen. So tragen die Elektroautos als selbstorganisiertes Dorftaxi oder als Mitfahrgelegenheit zu einem nachhaltigen Verkehrssystem bei. Die Kommunen können Geld für Rufbusse und Linienverkehr einsparen, bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung im halböffentlichen Individualverkehr. „Wir haben außerdem den Eindruck, dass das Projekt das soziale Miteinander im Dorfleben stärkt“, sagt Klärle.
Und so funktioniert’s: Bei der Buchung gibt der Fahrer an, wohin er fährt und ob er eine Mitfahrgelegenheit anbietet. Der potenzielle Mitfahrer wiederum kann in der App oder über das Online-Buchungssystem sehen, wer wann wohin fährt. Wer bereit ist, Mitfahrer mitzunehmen, stimmt bei der Anmeldung zur Smarten KARRE einem Passus zu, der die Veröffentlichung dieser Informationen datenschutzrechtlich absichert.
Derzeit sind sieben ehrenamtliche Fahrer registriert, die vor allem ältere Menschen beispielsweise zum Einkaufen, zum Bahnhof oder zum Arzt fahren. Mitfahrer, die kein Smartphone nutzen oder digital nicht angebunden sind, haben die Möglichkeit, ihre Mitfahrgelegenheit telefonisch zu organisieren. Die Mitarbeitenden der Klärle GmbH mit Firmensitz auf dem Plusenergie-HOF8, denen die Elektro-Fahrzeuge als Geschäftswagen dienen, nehmen Buchungen am Telefon entgegen. Im Ort helfen auch Enkel und Nachbarn mit Smartphones aus, um online eine Mitfahrgelegenheit zu suchen.

Modellprojekt mit Perspektive
Im Sommer 2020 wurde die Smarte KARRE für den Landeswettbewerb „Wir machen Mobilitätswende!” nominiert. Anfang Dezember erfolgte die Preisverleihung durch Verkehrsminister Winfried Hermann. Das Projekt wurde in der Rubrik „Öffentlicher Personennahverkehr: flächendeckend, flexibel, autonom“ ausgezeichnet. Als Modellprojekt will die Smarte KARRE Vorbild für andere Kommunen und Organisationen im ländlichen Raum sein. Es gibt schon mehrere Interessensbekundungen und Anfragen aus dem kommunalen Umfeld, der Kreisverwaltung sowie von Jugendhilfeorganisationen und Pflegediensten.
Ende Januar 2021 endete die BULE-Förderung, über die in der Anfangsphase von Smarte KARRE unter anderem eine halbe Arbeitsstelle sowie die Öffentlichkeitsarbeit und die Entwicklung der App finanziert wurden. Die laufenden Kosten der Smarten KARRE sind überschaubar. Der mit Abstand größte Kostenfaktor ist die Versicherung der Fahrzeuge. Aufgrund des zugelassenen Nutzerkreises – vom Fahranfänger bis zum Rentner – werden hohe Beiträge angesetzt. Carsharing auf dem Land, mit einem überschaubaren Nutzerkreis, ist für die Versicherungen heute noch kein Thema. Die Mietpreise für die Fahrzeuge werden daher in Zukunft voraussichtlich leicht steigen. Derzeit kostet ein Zweisitzer 2,50 Euro pro Stunde oder 25 Euro pro Tag, ein Fünfsitzer 3,50 Euro pro Stunde oder 35 Euro pro Tag – inklusive Strom und ohne Grundgebühr.
„Mobilitätswende und Klimaschutz beginnen auf lokaler Ebene. Jedes Projekt ist ein Baustein, der zum Gelingen des Klimaschutzes beiträgt“, sagt Klärle. „Die Smarte KARRE ist der Beweis dafür, dass die Mobilitätswende im Kleinen funktioniert und auch auf dem Land umsetzbar ist – mit Mut, Ideenreichtum und Leidenschaft.“

Die gesamte Ausgabe der LandinForm 1/2021 kann hier kostenlos gelesen werden.